Narzissmus in der Führung und warum Charismatiker und Narzissten in der Politik Hochkonjunktur haben…

„Der Narzisst ist in sich selbst verliebt, er überhöht seine Person und ist Kritik nicht zugänglich. Er wird getragen von den Menschen, die ihn bewundern.“

Wir finden, diese Aussage von Prof. Joachim Bauer, Neurowissenschaftler und Autor, bringt es ziemlich genau auf den Punkt. Diese Beschreibung eines Narzissten trifft auf einige der aktuellen Spitzenpolitiker zu – Donald Trump, Jair Bolsonaro, Boris Johnson – die Liste ließe sich weiterführen.

Sehen wir uns die Fähigkeiten charismatischer bzw. narzisstischer Führungskräfte genauer an: 

  • Sie bedienen sich einer brillanten Selbstinszenierung und besitzen ein stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl mit einer expliziten Selbstbezogenheit.
  • Sie agieren spontan, emotional und denken „groß“.
  • Sie sind sehr umsetzungsstark in dem, was sie wollen. Sie verwirklichen ihre großartigen Ideen und Projekte gegen alle Widerstände (bzw. sie versuchen es).
  • Sie agieren dominant und voller Selbstvertrauen, vor allem auch gegenüber ihren Kritikern.
  • Sie lassen das Alltägliche (z.B. Bürokratien, etablierte Konventionen, etc.) trist und banal erscheinen.

Solche Fähigkeiten stoßen nicht grundsätzlich auf Ablehnung, sondern üben auf Menschen auch eine gewisse Faszination aus. Charismatiker wie auch Narzissten ziehen Menschen zunächst durch ihr außergewöhnliches Verhalten in den Bann, begeistern und motivieren sie, und zwar für ihre Person und ihre großartigen Ziele. Sie schaffen es, bei ihren Bewunderern Bindung und Identifikation zu erzeugen und machen auf diesem Weg ihre „Fans“ empfänglicher für die Durchsetzung des eigenen Willens.
Genau das macht sie erfolgreich – und beim Narzissten gleichzeitig auch so gefährlich und unberechenbar.

Die gute Nachricht ist:
Eine Führung mit charismatischen oder narzisstischen Eigenschaften und Fähigkeiten kann erst dann langfristig wirksam werden, wenn sie auf einen ergänzenden Aspekt trifft:
Auf Menschen (bzw. Teams, Organisationen) mit einem starkes Bedürfnis, etwas „Außer-Alltägliches“, etwas Neues, etwas „noch nie Dagewesenes“ miterleben zu wollen. Vor allem aber Menschen, die sich in einer „entzauberten Welt“ sehen, benachteiligt, mit dem Gefühl „festzustecken“, von Routine aufgefressen… Menschen, die am liebsten „ausbrechen“, alles verändern würden – sich das alleine aber nicht zutrauen. Diese Menschen sind schnell zu begeistern von einem „grandiosen Vorbild“.

Es handelt sich also (wie immer bei Führung) um ein interaktives Phänomen: zwischen dem „Führenden“ und den Menschen, die sich führen lassen. Beide sind an der Interaktion beteiligt und nehmen Einfluss. 
Der Einfluss der Geführten in dieser Interaktion wird oft übersehen, ist aber äußerst relevant: Denn entziehen viele vormalige „Bewunderer“ der Führungskraft ihre Gefolgschaft, dann erodiert der Einfluss – und damit auch die „Macht“ dieser Führungskraft.  Charismatische Führung geht also nur gut im positiven Miteinander mit den Geführten.


Hier ist übrigens auch die Schattenseite – und gleichzeitig Achillesferse – des „dunklen“ Narzissmus: Denn wer die „Grandiosität“ des Narzissten in Zweifel zieht, der ist sein „Feind“ und hat mit massiven negativen Konsequenzen zu rechnen. Nicht selten führt das dann zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf: andere ehemalige Fans sehen das negative Verhalten und wenden sich auch ab, der Narzisst reagiert, mit immer größeren Eskalationen… oft bis zum bitteren Ende, der Selbst-Demontage des Narzissten.

Doch: wie kommt‘s, dass wir ganz aktuell weltweit eine Hochkonjunktur von geradezu narzisstischen Politikern und Präsidenten erleben?

Wir bieten Ihnen hierzu folgende Hypothese an, die wir Ihnen aus dem bereits erwähnten Kontext ableiten:

Unsere Demokratien basieren auf legal funktionierenden Bürokratien. Auf einer sachlichen Rechtsgrundlage, streng formalistisch, funktional, mit gesetzten, formalen und rationalen Regeln.
Wir bewegen uns tagtäglich auf dieser Grundlage. Wir diskutieren und handeln nach sachlichen Zweckmäßigkeits-Gesichtspunkten: Möglichst emotionsfrei, im Idealfall ohne Ansehen der Person und Einfluss persönlicher Motive, jenseits jeglicher Willkür und Unberechenbarkeiten.
Wir alle verpflichten uns zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der gesellschaftlichen Regeln.
Und das ist auch gut so! Denn genau damit gewährleisten wir unsere Freiheit, Meinungsäußerung, Fairness, gesundheitliche Versorgung, Wohlstand, sogar Frieden und Stabilität … und weitere Vorteile, die Ihnen beim Lesen sicherlich selbst noch dazu einfallen.

Allerdings: Das fühlt sich alles andere als „grandios“ an – ziemlich „unspannend“, würde mancher vielleicht sogar sagen…
 
Einzelne empfinden also ein Vakuum von Grandiosität, Emotionalität, Sehnsucht nach dem „nie Dagewesenen“, Außer-Alltäglichen, Befreiung von Routine und Normen, „die alten Konventionen mal nicht so ernst nehmen“, eine Ausnahme von der Regel machen…
Genau dieses Vakuum füllen charismatische – und leider auch narzisstische – Persönlichkeiten, treffsicher als „Heilsbringer“: Mit dem Versprechen des Erlebens von Grandiosität, der Verwirklichung großartiger Ideen, der Umwälzung von etablierten Fesseln und Konventionen. Das Bedürfnis nach charismatischen Persönlichkeiten könnte also umso größer werden, je weiter die Entwicklung zu einem bürokratischen, übersachlichen, emotionslosen Funktionalismus fortschreitet.
 
Und eine zweite Wirkungskette könnte eine Rolle spielen: Der „helle“, positive Charismatiker unterscheidet sich vom „dunklen“ Narzissten vor allem in der Ausprägung seines Machtmotives:
Beide wollen Macht, jedoch der „helle“ Führende will mit seinem charismatischen Einfluss etwas für die Gemeinschaft, die Organisation, die Gesellschaft erreichen – ein sozialisiertes Machtmotiv.
Der dunkle Narzisst dagegen strebt nach Macht nur für die Erfüllung seiner eigennützigen, egoistischen Ziele. Dinge wie Mitgefühl oder Empathie für andere würden dabei der persönlichen Befriedigung ja nur im Wege stehen… 
Es wäre nur logisch, dass sich in einer immer individualistischeren Gesellschaft das „Vorbild“ des dunklen Narzissten noch besser verfängt als die altruistische Haltung des Charismatikers.
Auch das könnte letztlich also dazu beitragen, warum zuletzt mehr Narzissten an entscheidende Positionen gekommen sind:
Eine Gesellschaft oder Organisationen, in denen der Egoismus des Einzelnen aufblüht – oder in Teilbereichen sogar schon den Ton vorgibt.

Woran können nun Sie als Führungskraft narzisstisch geprägte Unternehmenskulturen erkennen? Hier geben wir Ihnen acht prägende Phänomene bzw. Verhaltensweisen an die Hand, die Führungskräfte in diesen Kulturen zeigen:

Bitte berücksichtigen Sie jedoch beim Lesen, dass natürlich nie alle acht auf einen Einzelnen zutreffen müssen. In der Regel sind bei narzisstischen Führungskräften nur einige der Verhaltensweisen deutlich zu sehen – wobei es natürlich auch „Reinformen“ gibt :-)
Entscheidend ist dabei eines: Was ist das Machtmotiv der Person – sozialisiert, für die Gruppe („hell“) oder personalisiert, eigennützig und egoistisch („dunkel“)?
 
1. Die Führungskraft übertreibt ihre Leistungen und Talente:
Diese Führungskräfte sagen, sie waren in allen Lebenssituationen der „Star der Show“. Bei ständiger Wiederholung wird dies für solche Menschen zur Realität – sie glauben es wirklich, egal was passiert. Solche Führungskräfte inszenieren sich immer selbst, stellen immer ihre herausragenden Leistungen heraus, oft mit Übertreibung. Eine objektive Selbstreflexion suchen Sie bei diesen Führungskräften vergebens.

2. Die Führungskraft ist ein Meistermanipulator:
Diese Führungskräfte benutzen die Schwächen anderer, um das zu bekommen, was sie wollen und „degradieren“ oft andere (nicht nur deren Beitrag), um der eigenen Persönlichkeit mehr Glanz und Kraft zu verleihen. Motto: Wenn ich die anderen kleiner mache, bin ich noch größer. Wenn sie anderen „einen Gefallen tun“, dann nur, um dies später für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können.

3. Die Führungskraft erkennt die Gefühle anderer nicht und akzeptiert sie auch nicht:
Für diese Führungskräfte zählen nur die eigenen Emotionen. Emotionen anderer machen sie platt, um sich würdiger zu fühlen. Mitarbeiter fühlen sich klein und unbedeutend in der Nähe dieser Führungskräfte.

4. Die Führungskraft liegt nie falsch:
Diese Führungskräfte fühlen sich immer im Recht und prahlen damit, alles zu erreichen, was sie wollen – losgelöst von rationalen und moralischen Aspekten. Wenn Misserfolge eintreten, entfacht sich bei diesen Führungskräften Aggressivität und Wut – natürlich immer gegenüber anderen. Sie selbst haben nie Fehler gemacht – sie sind ja grandios.

5. Die Führungskraft fordert Bewunderung und muss im Mittelpunkt stehen:
Wird diesen Führungskräften die uneingeschränkte Aufmerksamkeit nicht mehr zuteil, verlieren sie schnell das Interesse und suchen sich unvermittelt andere Personen. Gleichgesinnte und Bewunderer dieser Führungskräfte werden in ihrer Karriereentwicklung befeuert und unterstützt. Sie fördern bewusst Situationen, die ihre Bewunderer in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen stellt. Das sichert ihre Position und erleichtert das Durchsetzen des eigenen Willens zu gegebener Zeit deutlich.

6. Die Führungskraft benutzt andere Menschen als Objekte zur eigenen Zielerreichung:
Diese Führungskräfte nutzen alles, insbesondere auch ihre Mitmenschen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, andere zu übertreffen und ihre eigenen Ziele zu erreichen. So werden Mitarbeiter und Kollegen zu instrumentalisierten Objekten: Es gibt Lob und Anerkennung für Bewunderer und Ablehnung bis hin zu „Feindschaft“ für kritisches Hinterfragen.

7. Die Führungskraft braucht Aufmerksamkeit:
Diese Führungskräfte akzeptieren niemanden besser als sich selbst. Sie werden wütend, wenn ihnen Aufmerksamkeit fehlt und sind neidisch auf alles, das Aufmerksamkeit von ihnen abzieht. Konkurrenzdenken und Rivalität mit allem und jedem ist an der Tagesordnung. Kritische Denker finden sich schnell im Abseits wieder, werden im worst case diffamiert und oft auch lächerlich gemacht.

8. Die Führungskraft glaubt, sie steht über Gesetz und Regeln:
Diese Führungskräfte glauben, sie stehen über allem, sind anderen überlegen, dürfen alles. Ethische und moralische Regeln verschieben sich, eigene Ideologien werden gelebt. Konventionen und Regeln gelten nur für die anderen. Selbst aufgestellte Regeln gelten auch nur solange, bis sie selbst sie wieder außer Kraft setzen. Sie haben nie Schuld und werden auch nichts wieder gut machen. Wenn etwas nicht stimmt, liegt es nicht an ihnen.

Unser Fazit für dieses Thema:

Indem wir die psychodynamischen Zusammenhänge erkennen, kann es gelingen, uns vorzeitig narzisstischen Verstrickungen zu entziehen. Vielleicht führt es auch dazu, narzisstische Anteile bei uns selbst auszumachen. So können wir uns aktiv dafür entscheiden, nicht auf die „dunkle Seite“ dieses Phänomens zu fallen. Und auch dafür, dass wir unseren Einfluss, unsere Macht und Charisma ganz bewusst für die „hellen“ Motive, in der eigenen Organisation und bei den Menschen einsetzen!

Als Lektüre für noch mehr Details geben wir Ihnen gerne folgende Tipps an die Hand:

  • „Dark Leadership“ Narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führung: essentials (Kurzversion) von Marco Furtner
  • „Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen“, Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade: von Kai Externbrink und Moritz Keil  

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen guten Umgang mit dem „Me, Myself and I“ und unterstützen Sie dabei, die „dunkle Triade“ der Macht zu erkennen und ihr entgegenzuwirken.

Wir grüßen Sie ganz herzlich von der hellen Seite der Führung,

Gabriele Ella und Bernhard Freudenstein